Der Satz, den ich seit Juniors Geburt mit Abstand am häufigsten aus meinem Umfeld zu hören bekomme, ist „Du hast dich echt total verändert seit du Mutter bist“. Wenn ich es dann geschafft habe, die Frage aus meinen Gedanken zu verbannen, ob das jetzt ein Kompliment oder doch eher ein Vorwurf sein soll, bin ich erstaunt, dass sowohl Mütter als auch kinderlose Frauen , denen ich mal mehr und mal weniger nahestehe, ihre Erkenntnis äußern.
Ab und an kommt dann noch als zusätzliche Anmerkung hinterher, dass man ja nie gedacht hätte, dass ich in der Mutterrolle so aufgehe. Dann kommen die Fragen oder die Besserwisserei geht los: „Fällt denn gar nicht die Decke auf den Kopf nur mit Baby zu Hause?“ oder „Na, warte mal ab, spätestens wenn er ein Jahr alt ist, sehnst du dich danach, ihn in die Kita zu schicken.“ sind einige Beispiele hierfür.
Grundsätzlich freue ich mich über das Interesse meiner Mitmenschen an meinem Befinden. Doch es überrascht mich dann schon, wie groß die Abweichung zwischen dem Bild ist, welches meine Mitmenschen über mich als Mutter hatten, bevor ich eine wurde und meinem wirklichen Verhalten als solche.
In diesem Beitrag stelle ich meine Sicht der Dinge dar.
Und täglich grüßt das Murmeltier oder: Der Satz, der immer kommt
Liebe Mitmenschen,
ich freue mich, zumindest seit ich das Wochenbett überstanden habe, meist sehr über eure Besuche bzw. darüber, bei euch vorbeizuschauen (was zugegebenermaßen wesentlich seltener vorkommt). Die Gespräche mit euch empfinde ich größtenteils als bereichernd. Oftmals schaffe ich es erst durch euch, mal kurz eine Auszeit vom Babythema zu nehmen und wahrzunehmen, dass die Welt sich weiterdreht und vor allem nicht nur um Babys kreist.
Doch dann kommt häufig der Moment, der mich erst irritiert und dann, je nach Wortwahl und Tonfall, zum Nachdenken anregt oder auch ärgert. Meist kündigt sich der, mittlerweile unzählige Male zu mir gesagte, Satz mit an mich adressierten Fragen an. „Und du willst echt noch so lang Elternzeit machen? Fällt dir denn nur zu Hause mit Baby nicht langsam die Decke auf den Kopf?“. „Das mit dem Tragen geht doch mittlerweile richtig aufs Kreuz?“ beliebig erweiterbar oder austauschbar mit „Die Stillerei ist doch super anstrengend für dich?“ und / oder „Willst du ihn nicht langsam mal an sein eigenes Bett gewöhnen?“. Einige Male fand euer Frage-Reigen dann gar mit der Feststellung „Du verwöhnst ihn ja schon ganz schön“ seinen Abschluss.
Als zwar direkter, aber doch eher auf Harmonie bedachter Mensch beantworte ich dann eure Fragen: Nein, mir fällt die Decke nicht auf den Kopf. Seit Junior auf der Welt ist bin ich sogar viel mehr unterwegs als vorher. Ich kann mich nie – wirklich nie – über Langeweile beklagen.
Ja, das Tragen wird schon anstrengender mit der Zeit, aber ab und an nehme ich ja auch schon den Buggy. Die Stillerei hat unschätzbar viele Vorteile für Junior und mich und mir geht es sehr gut damit. Das Familienbett ist einfach total praktisch für mich als stillende Mutter. Außerdem finde ich es schön, mein Baby so nah bei mir zu haben. Ich glaube fest daran, dass man ein Baby nicht verwöhnen kann. Ich erfülle einfach, wann immer es mir möglich ist, prompt die Bedürfnisse meines Babys. Es ist einfach mein Wunsch, den Alltag als kleine Familie so zu gestalten, dass es uns allen gut geht.
Ich gehe also auf die Fragen, die ihr mir stellt, ein. Erkläre meinen Standpunkt und wie ich zu diesem kam. Auch wenn ich mich ab und an über eure Fragen und Äußerungen ärgere. Ihr ahnt es: Hier kommt es aus meiner Sicht wieder auf Wortwahl und Tonfall an. Entscheidend für meine weitere Laune im Gesprächsverlauf ist außerdem mein Gefühl, inwieweit ihr wirklich interessiert seid an meinen Antworten. Wenn ich den Eindruck habe, dass ihr ungefragt eure Ansichten und Meinungen loswerden möchtet, sinken meine Stimmung sowie Interesse am weiteren Austausch rapide.
Doch selbst wenn ich an dem Punkt angelangt bin, an dem ich mir sicher bin, dass ihr gerade eher zeigen wollt, was ihr alles so zum Leben mit Baby wisst, bin ich zu höflich, euch während eurer Ausführungen zu unterbrechen. Ich höre mir das, was ihr zu sagen habt geduldig an. Um ungefragt Ratschläge zu geben, müssen manche von euch lieben Mitmenschen nicht mal selbst ein Kind haben. Glücklicherweise seid ihr aber die Ausnahme in meinem Umfeld.
Die überwiegende Mehrheit von euch hört sich interessiert an, was mir zu den vielen Fragen rund um meinen Babyalltag so einfällt. Dafür an dieser Stelle erstmal ein Dankeschön. Doch egal, ob ihr nun zu den eben beschriebenen „Ratschlägern“ oder den „Zuhörern“ gehört – diesen einen Satz sagt ihr fast alle. Und das nicht nur einmal, sondern bei jedem Treffen und immer wieder sichtlich und mitunter hörbar erstaunt.
Mein neues Mama-Leben: Überrascht euch, dass ich glücklich bin?
Nachdem wir uns also ein bisschen über mein Leben als Mama ausgetauscht haben (bzw. ihr eure Ansichten hierzu mal losgeworden seid), stellt ihr fest: „Seit du ein Baby hast, hast du dich aber echt total verändert.“ Pause. Und weiter: „Ich hätte nie gedacht, dass du so in der Muterrolle aufgehst.“
Ist euch eigentlich bewusst, dass diese Aussagen auf mich nicht unbedingt wie Komplimente wirken? Und ist euch nicht in den Sinn gekommen, dass es wohl eher komisch wäre, wenn ich mein Leben mit Baby weiterleben würde, als hätte ich keines?
Seit Juniors Leben in meinem Bauch begann, trage ich die Verantwortung für sein Wohlergehen. Ich empfinde es als vollkommen normal, dass ich mir große Mühe gebe, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Und ich bin ehrlich gesagt ziemlich glücklich darüber, dass mir der Babyalltag Spaß macht. Ich also „in meiner Mutterrolle aufgehe“, wie einige von euch es nennen. Wenn ihr darüber euer Erstaunen äußert, frage ich mich immer, was ihr wohl für ein Bild von mir als Mutter hattet, bevor Junior geboren war.
Was dachtet ihr denn, wie ich mit meinem Baby umgehen werde? Welche Charakterzüge lege ich an den Tag, die anscheinend nicht zu dem Bild passen, das ihr von einer „guten“ und „glücklichen“ Mutter habt?
Ich bin direkt, mitunter laut und äußerst diskussionsfreudig. Mein Ehrgeiz hat schon so manchen Spieleabend ganz weit weg von lockerem Spaß gebracht. An meinen Gastgeberqualitäten muss ich defintiv auch noch arbeiten. Wenn ich euch schon etwas zu trinken anbiete, bin ich bereits stolz auf mich. Oder habt ihr von meiner mangelnden Fürsorge für Pflanzen im Büro und zu Hause etwa auf meine Mutterqualitäten geschlossen? Dachtet ihr vielleicht, ich werde zu Hause unglücklich, da mir meine Arbeit Spaß gemacht hat und ich gerne feiern ging?
Spaß beiseite: Ich glaube, den meisten von euch ist einfach gar nicht bewusst, welche Gedanken ich mir über eure Aussagen mache und wie diese auf mich wirken. Doch ich denke, etwas Wahres ist an meinen Vermutungen dran: Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was ihr für eine „gute Mutter“ haltet, dem was ihr vor Juniors Geburt von mir als Mutter dachtet und dem, was ihr jetzt seht.
Ich bin ich bleibt ich. Oder?
Aber habe ich mich wirklich so verändert seit ich Mutter bin? Ich denke nicht. Ich bin immer noch direkt, laut und ehrgeizig. Diskussionen gehe ich auch jetzt nicht aus dem Weg. Ein grüner Daumen ist mir noch immer nicht gewachsen und auf euer Getränk wartet ihr zu Besuch bei mir noch immer zu lang.
Ihr seht mich jedoch von einer anderen Seite. In einer neuen Rolle, die sich stark von allen anderen, die ich bisher wahrnahm, unterscheidet. Im Babyalltag sind nun mal ganz andere Dinge gefordert als im Arbeitsleben oder beim netten Beisammensein mit Freunden.
Meine liebevolle, fürsorgliche Seite blieb euch bisher einfach sehr gut verborgen. Und ja, das gebe ich zu: Junior brachte von dieser Facette wohl mein persönliches Maximum zum Vorschein. Da der kleine Sonnenschein derzeit unbestritten mein Lebensmittelpunkt ist, ist derzeit auch kaum Platz zum Ausleben meiner anderen Seiten.
Das erklärt vielleicht auch, warum ich euch so verändert erscheine. Ihr lernt meine liebevolle Seite kennen – und das gleich zu 100 Prozent. Aber ich bin mir ganz sicher: Es kommt die Zeit, um zu zeigen, dass ich noch ich bin und meinen anderen Facetten wieder mehr Raum zu geben.
Bis dahin würde ich mich freuen, wenn ihr nicht bei jedem Besuch eure Verwunderung über mich als Mutter äußert. Und wenn ihr euch nicht beherrschen könnt: Bitte erklärt mir doch dann wenigstens, wie ihr eure Aussagen meint. Wer mir jetzt sagen möchte „Frag doch dann einfach nach!“, dem entgegne ich: Schon mal was von einem ausgeprägten Harmoniebedürfnis gehört?
Also liebe Mitmenschen: Ich freue mich auf ein baldiges Wiedersehen. Rechnet aber nicht damit, dass ich bis auf Babythemen viel an spannendem Gesprächsstoff beizusteuern habe. Und ja: Wenn Junior schreit, lasse ich noch immer alles stehen und liegen und mache meine Hechtrolle, um ihn ja nicht leiden zu lassen. Ich habe mich verändert? Ja, gut, vielleicht ein bisschen.
Fürsorglich und dennoch diskussionsfreudig wie eh und je grüßt euch
eure Jana