Neulich habe ich im Familienzentrum eine Situation beobachtet, wie ich sie in den letzten Monaten schon dutzende Male und überall dort, wo sich Kinder aufhalten, wahrgenommen habe: Ein Kind stürzt und fängt lautstark an zu weinen. Mama oder Papa eilen herbei, um ihren Schatz zu trösten. Wenn sie sich versichert haben, dass keine ernsthafte Verletzung vorliegt, möchsten sie ihr Kind dann mit „Ist doch gar nichts passiert“ oder „War doch wirklich nicht schlimm“ beruhigen.
Ich finde diese Aussagen problematisch. Warum das so ist könnt ihr genauer in diesen tollen Beiträgen von „Geborgen wachsen“ und „Mini and Me“ nachlesen.
Nun erlebte ich durch Juniors erste heftigere Krankheit am eigenen Leib, wie es sich anfühlt, wenn Trostversuche (sofern sie das denn tatsächlich sein sollten) irritieren und geschilderte Empfindungen nicht für voll genommen werden.
Erfahrt in diesem Artikel, was mich an düsteren Zukunftsprognosen und Phrasen als Antwort auf mein Gejammer stört und was möglicherweise einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Entstehung dieses Beitrags hatte.
Wenn mal nicht alles gut ist …
Junior hatte es vor kurzem zum ersten Mal etwas heftiger erwischt. Über insgesamt drei Wochen zogen sich verschiedenste Beschwerden, die in einem Magen-Darm-Infekt und nächtlichem Besuch in der Kinder-Rettungsstelle gipfelten. Klar, dass sich der drastisch reduzierte Schlaf, täglich mehrere stundenlange Spaziergänge mit Junior in der Trage und das Ertragen eines, verständlicherweise, übellaunigen Babys auch auf meine Stimmung auswirkten.
Zumal es Papa Junior zeitweise ebenso heftig erwischt hatte und ich, ebenfalls kränkelnd, nur auf wenig Unterstützung setzen konnte (was für ein Glück, dass Oma Urlaub hatte und einige Tage und Nächte lang half).
Nun haben wir das Glück, dass sich viele Menschen regelmäßig nach unserem Wohlergehen erkundigen. Ob Verwandte, Freunde, Kolleginnen und Kollegen oder die Nachbarn: Auf ein „Na, alles gut bei euch?“ kann ich meist ein fröhliches „Ja“ erwidern sowie bei Interesse aus unserem Alltag berichten (manche Menschen meines Umfelds würden jetzt sagen, dass ich IMMER mehr erzähle – was natürlich ein fieses Gerücht ist …).
Doch diesmal beklagte ich Juniors (und am Rande Papas) Gesundheitszustand, meine Erschöpfung, die ständigen Arztbesuche in der Urlaubszeit und die Sorgen, die ich mir als unsichere Erstlingsmutter eben so mache.
Nun fielen die Reaktionen auf meine Schilderungen unterschiedlich aus. Da gab es die, die sich einfach freundlich alles anhörten bzw. durchlasen (denn manche Menschen triftt man ja, vor allem im Krankheitsfall, nicht zufällig auf der Straße wie die Nachbarn – in diesen Fällen ist dann also das Smartphone das Kommunikationsmittel) und gute Besserung wünschten.
Ab und an ergänzt um einen Tipp, der auf den eigenen leidvollen Erfahrungen mit krankem Baby fußt. Es gab die, die sich mitfühlend etwas genauer oder mehrfach nach unserem Empfinden erkundeten und aufmunternde Worte fanden: „Ja, glaube dir sofort, dass du erschöpft bist. Aber bestimmt geht es Junior bald wieder besser und dann hast du auch wieder entspannte Momente.“ So oder so ähnlich klang das dann.
Und dann gab es die, die wohl meinen in die Zukunft sehen zu können. Die zu wissen glauben, was da noch auf mich zukommt. Die mir indirekt mitteilten, dass ich mich mal nicht so haben soll. Ihre liebste Aussage lautet: „Na, wart mal ab. Das wird noch viiiiiel schlimmer.“ Dazu eine ernste Miene. Dann fast immer der Bericht ihrer schlimmsten Kinderkrankheitsgeschichte. Und ein Hinweis, wie lässig sie sogar das gewuppt haben: „Naja, aber das kenne ich als Zehnfach-Mama / Erzieherin mit 30 Jahren Berufserfahrung / Superwoman ja bereits.“ Übertrieben? Ich reagiere über? Ja, vielleicht. Aber nur ein bisschen.
Eine kleine Auswahl unserer, hoffentlich nicht allzu bald weiter wachsenden, Babyapotheke. Wobei manch einer ja eher ein düsteres Zukunftsszenario zum Thema Kinderkrankheiten entwirft …
Aufmunterung geht anders oder: Düstere Aussichten
Zugegeben: Ich bin mir sicher, dass die meisten, die da fieses für die Zukunft in Sachen Kinderkrankheiten orakelten es überhaupt nicht böse meinten. Vermutlich steckt hinter dieser Satz einfach der Versuch, mich damit zu trösten, dass … äh, ja. Womit eigentlich?
Soll mich – übermüdete und erschöpfte Mutter eines Babys, die gerade ihren größten Schatz erstmals krank erleben musste – der Gedanke, dass Junior in den nächsten Jahren wohl noch heftigere Krankheiten durchmachen wird (die Papa und ich uns dann natürlich auch einfangen werden) trösten?
Wer fühlt sich denn mit solch düsteren Zukunftsaussichten besser? Augenblicklich fühlte ich mich an meine Kindheit zurückerinnert: Vor großen und bedeutsamen Meilensteinen wie der Einschulung, dem Wechsel von der Grundschule aufs Gymnasium oder der lang ersehnten Volljährigkeit bekam ich – natürlich ungefragt – von verschiedensten Personen zu hören, dass es nun vorbei sei mit der „verantwortungslosen Zeit“ und „der Ernst des Lebens“ nun beginne.
Bei solchen Aussagen erhielten dann die eigentlich freudigen Ereignisse einen bedrohlichen Beigeschmack. Sollte meine Zukunf tatsächlich dermaßen spaßbefreit und ernst werden? Wer Veränderungen da noch gut gelaunt und optimistisch entgegen blickt ist selbst schuld.
Doch auch hier unterstelle ich dem Großteil der Personen, die mir diese Sätze entgegenschmetterten mal gute Absichten. Sie wollten mich vielleicht davor bewahren … äh, ja. Wovor eigentlich? Wollten sie mich davor „schützen“, meine Schullaufbahn oder das Leben als Erwachsene gut gelaunt und mit positiven Gedanken zu beginnen?
So wie es mir, in für mich belastenden Situationen, also kein Trost ist, dass es anderen schlechter geht oder schon mal schlechter ging, hilft mir auch kein Hinweis das es künftig noch schlimmer werden könnte oder wird. Und ehrlich gesagt, kann ich mir kaum vorstellen, dass irgendjemand da anders empfindet.
Schon während meiner Schwangerschaft habe ich ja bei einigen Müttern das Gefühl gehabt, sie genießen es, mir etwas voraus zu haben und mir gehörige Angst einzujagen (nachzulesen in meinem Beitrag zum „Hypnobirthing“ nur mit Buch und ohne Kurs, mit dem ich versuchte, meine Angst vor der Geburt abzubauen).
„Ist doch gar nicht schlimm“ im Tarnkappenmodus
Und noch etwas stört mich an der Aussage, dass alles noch schlimmer werde, wenn ich ein rumjammere über das, was uns bzw. mir gegenwärtig zu schaffen macht. Meine Gefühle und Erschöpfung, die ja nun mal subjektiv sind, werden kleingeredet. Letzlich handelt es sich doch um ein „Ist doch gar nicht schlimm“.
Nur eben im Tarnkappenmodus und mit dem unschönen Szenario verbunden, dass die Zukunft hier noch viiiiel schlimmere Zeiten bereithält. Natürlich tut sie das! Ich meine ganz falsch ist die Aussage nicht. Die düsteren Prophezeiungen werde sich bestimmt bewahrheiten und es wird noch Phasen geben, in dem es Junior heftiger als diesmal erwischt. Vielleicht ist dann auch Papa Junior wieder krank und mich erwischt es dann zu allem Überfluss auch noch so richtig.
Doch bei anderen Themen beherrschen sich die Menschen doch auch. Würde jemand zu einer Frau, die sich freut ein paar Pfunde abgenommen zu haben, aber etwas über die Anstrengungen bis zu ihrem Ziel klagt, sagen:
„Na wart mal ab. Das war ja noch gaaaar nichts. Schwierig ist es schließlich das Gewicht zu halten. Und je älter du wirst, desto schwieriger wird es sein das Gewicht zu halten. Ich schaffe das ja. Aber als Ernährungsberaterin / Fitnesscoach mit 30 Jahren Berufserfahrung / Superwoman weiß ich ja, wie das geht.“?
Vermutlich nicht. Man freut sich mit der Frau. Gratuliert ihr zu ihrem Erfolg. Fragt vielleicht auch nach, wie sie das geschafft hat (wenn sie nicht selbst stolz davon berichtet, was meiner Erfahrung nach sehr wahrscheinlich ist – dies aber nur am Rande). Dabei wäre ja meine beispielhafte Aussage ja auch nicht falsch. Und bewahrheitet sich in vielen Fällen, wie der unbeliebte Jojo-Effekt zeigt.
Satz mit X … Meine Gefühle bleiben unverändert
Wenn ein Außenstehender sich auch denken mag, dass meine Sorgen und Probleme doch Kleinigkeiten oder nicht der Rede wert sind, ändert das nichts an meinen Gefühlen.
Das wird noch schlimmer? Tja, trotzdem bin ich jetzt erschöpft. Andere hat es da schon viel härter getroffen? Und trotzdem könnte ich an Ort und Stelle und vor dir stehend einschlafen. Habe dich doch nicht so, ist doch alles halb so wild? Mag ebenso stimmen. Und trotzdem sieht die Bude aus wie eine Müllhalde, da ich seit Tagen zu nichts anderem komme, als meinen kranken Junior durch die Gegend zu tragen.
Übertrieben? Ich reagiere über? Ja, vielleicht. Aber nur ein bisschen. Was so eine, wohl gar nicht böse gemeinte, Aussage alles in mir auslöst erstaunt euch? Nun ja.
Vielleicht lese ich diesen Artikel einfach nochmal, wenn ich mal wieder eine Nacht durchgeschlafen habe. Das ist nun deutlich über ein Jahr her. Und nein, ich will nichts hören von der „Das kommt noch schlimmer-„, „Das ist doch gar nix“- oder „Nur die Harten kommen in den Garten“-Fraktion. Im Zweifel halte ich mir eben die Ohren zu und singe „LaLaLa“. Ganz laut. Singen soll ja ungemein entspannend wirken.
In diesem Sinne sende ich noch immer etwas müde und leicht gereizte Grüße aus Berlin Friedrichshain,
eure Jana