Ihr wisst wohl was ich meine, wenn ich die Behauptung aufstelle: Das Leben mit Baby & Kind bietet jede Menge Diskussionsstoff. Einige Themen schaffen es jedoch in ganz besonderem Maße, die elterlichen (aber natürlich auch nicht-elterlichen …) Gemüter in Wallung zu bringen. Eines davon ist Windelfrei. Ehrlicherweise bin ich jedes Mal insbesondere bei Online-Debatten (Oder sollte ich besser dititale Schlagabtäusche sagen?) überrascht von den Vorurteilen, Befürchtungen und auch Mythen zu einem Thema, das für einen Großteil der Eltern wohl einfach nicht vorstellbar ist.
Umso mehr freue ich mich darüber, dass die Gründerin der Website Windelfreibaby.de (auch auf facebook vertreten) im Interview aufklärt. Darüber was Windelfrei ist. Und eben auch nicht ist. Außerdem gibt es natürlich einige wertvolle Anregungen und Tipps für alle, die der Windelfreiheit aufgeschlossen gegenüber stehen.
„Windeln sind in unserer Geschichte eine neumodische Erscheinung“
Jana Patschehand: Du hast vor kurzem die Website Windelfreibaby.de ins Leben gerufen. Wie kam es zu diesem Schritt? Und warum braucht es deine Seite?
Windelfreibaby: Windelfrei ist hierzulande leider immer noch recht unbekannt. Während es außerhalb von Europa und Nordamerika völlig normal ist, sein Kind abzuhalten, stecken wir unsere Babys immer noch in Plastikschichten. Wenn man anfangs nicht genau weiß, nach was man da eigentlich sucht, findet man im Internet nicht immer die richtigen Seiten.
Windelfreibaby möchte einen Überblick zu Windelfrei geben: Von Tipps und Tricks, was man zum Beispiel bei einem Abhaltestreik tun kann, Erfahrungsberichten von anderen Windelfrei Familien (Anmerkung Jana Patschehand: Zum Beispiel den von Familie Patschehand), nützlichen Büchertipps und einer Übersicht zu Windelfrei Coaches wird man auf Windelfreibaby fündig. Windelfreibaby möchte Windelfrei bekannter und verständlicher machen. Denn: Windelfrei ist natürlich, wir müssen uns nur trauen.
Jana Patschehand: Windelfrei ist ein Thema, welches selbst in meiner entspannt-toleranten Heimat Berlin-Friedrichshain für skeptische Blicke und irritierte Kommentare sorgt. Was möchtest du den Eltern und Interessierten auf den Weg geben, die Vorbehalte bzw. gar Sorgen in Bezug auf die psychische Gesundheit von Windelfreibabys haben?
Windelfreibaby: Unbekanntes macht uns Angst. Oft wollen wir es nicht verstehen oder bemühen uns schlichtweg zu wenig darum. Windelfrei ist in unserer Gesellschaft irgendwie ein Tabu. Babys brauchen Windeln, alles andere ist falsch. Windeln sind in unserer Geschichte allerdings eine recht neumodische Erscheinung. Zuvor war es ganz normal, sein Kind abzuhalten, um sich so auch möglichst viel Wäsche zu sparen.
Heute ist unser Alltag schnelllebiger geworden. Es bleibt keine Zeit, sein Kind auf Signale beobachten zu können. Das braucht es aber, entscheidet man sich bewusst für Windelfrei. Der Vorteil bei diesem zeitlichen Aufwand: Eine noch innigere Beziehung zwischen Bezugsperson und Baby. Nähe, Kommunikation, Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Vertrauen – all das brauchen unsere Kinder, um sich artgerecht entwickeln zu können. Windelfrei ist also mehr als nur gesund.
Ist Windelfrei aufwändiger als „klassisches“ Wickeln?
Jana Patschehand: Jetzt mal ehrlich: Ich empfand das, in Juniors Babyalter recht häufige, Abhalten manchmal (insbesondere übrigens nachts) als irre anstrengend. Mittlerweile freue ich mich jedoch seit vielen Monaten über den viel geringen Aufwand im Vergleich zum „klassischen“ Wickeln.
Das wunderbare Logo von Windelfreibaby.de zeigt, dass das „Abhalten“ im liebevollen Kontakt zum Baby bzw. Kleinkind erfolgt.
Nun interessiert mich deine Erfahrung / Meinung: Ist das windelfreie Leben aufwändiger als das in unserer Gesellschaft übliche Wickeln?
Windelfreibaby: Windelfrei ist weder einfacher noch aufwendiger als nur zu wickeln. Jedes Kind ist individuell, in seinem Wesen, seiner Entwicklung und auch darin, wie stark sein Ausscheidungs-bedürfnis ist. Und das ist auch gut so. Windelfrei läuft nie stringent ab. Es gibt Phasen, in denen das Kind sein Bedürfnis besser signalisiert, Phasen, in denen es weniger klappt und dann auch oft richtige Abhaltestreiks, in denen gar nichts mehr geht. Letztere kommen meistens dann vor, wenn das Baby mobil wird. Auch das ist normal und gehört zur Entwicklung dazu.
Windelfrei sollte nicht deswegen praktiziert werden, weil es kostensparend oder später weniger Zeit aufwendig ist. So wie ein Baby signalisiert, wenn es Hunger hat oder müde ist, signalisiert es auch, wenn es ein Ausscheidungsbedürfnis hat. Wir sollten nicht nur auf die ersten beiden Signale eingehen, sondern allen bedingungslos nachkommen.
Jana Patschehand: In drei Sätzen: Welche Vorteile hat Windelfrei?
Windelfreibaby: Windelfrei stärkt das kindliche Körpergefühl, schafft Nähe und Vertrauen, vertieft die Beziehung zwischen Kind und Bezugsperson und bedeutet bedingungslose Liebe. Auch Babys haben das Recht auf einen trockenen und sauberen Popo. Windelfrei kommt dem nach und wahrt die Würde des Babys.
Tipps: Was hilft beim sogenannten „Abhaltestreik“?
Jana Patschehand: Was rätst du werdenden Eltern, die direkt nach der Geburt windelfrei loslegen wollen? Ist der Besuch bei einem Windelfrei-Coach aus deiner Sicht hilfreich?
Windelfreibaby: Windelfrei muss nicht direkt nach der Geburt begonnen werden. Als Zeitraum werden die ersten drei Monate empfohlen, da das Baby danach die Signale einstellt und mit der Zeit auch das Körpergefühl dafür verliert. Entscheidet man sich aber dafür, direkt mit Windelfrei zu beginnen, ist der erste Schritt immer folgender: Das Baby in einem gut geheiztem Raum einfach einmal nackig auf eine wasserfeste Unterlage hinlegen und beobachten.
Gerade in den ersten Wochen ist die Blase noch so klein, dass der Harndrang sehr häufig ist. Was macht das Baby, bevor es mal muss? Weint es, drückt es, wird der Blick leer, speichelt es vermehrt?
Ein Windelfrei-Coach ist hilfreich, gerade beim ersten Kind. Er kann einem oft mit einfachen Mitteln zeigen, warum sich das Kind so oder so verhält und hilft, mögliche Signale besser zu erkennen. Unterstützung in Form von Tipps oder einfach nur aufbauende und motivierende Worte tun immer gut. Windelfrei ist und bleibt allerdings etwas ganz natürliches. Wir brauchen lediglich Geduld, Verständnis und Einfühlvermögen.
Jana Patschehand: Wohl alle Windelfrei-Eltern kennen diese Phasen, in denen es irgendwie nicht mehr so recht klappen will mit dem Abhalten bzw. aufs Töpfchen gehen. Hast du einen Tipp für diese Phasen?
Windelfreibaby: Diese sogenannten Abhaltestreiks kommen meistens dann vor, wenn die Kleinen mobil werden. Plötzlich haben sie einen anderen Blick, die Perspektive verändert sich, sie gelangen an Dinge, an die sie bisher nicht herankamen. Ihre Welt steht Kopf, es gibt so viel zu entdecken. Da bleibt schlichtweg keine Zeit zum Signalisieren. Das ist völlig normal und okay.
In diesen Phasen brauchen Windelfrei Eltern besonders viel Geduld. Wichtig: Entspannt bleiben und auch bewusst mal eine Windelfrei Pause machen. Ansonsten hilft es oft schon, wenn man auch die Abhaltesituation bewusst verändert: Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, den Ort zu wechseln (neben der Spielecke anstatt im Badezimmer), das Behältnis zu tauschen (der Toilettensitz anstatt das Asia Töpfchen) und die Abhalteposition zu verändern (allein sitzend anstatt gehalten zu werden). Und Spielzeug, am besten wasserfestes und leicht zu reinigendes, während dem Abhalten anzubieten, vollbringt meistens schon wahre Wunder …
„Eltern sollen sich frei entscheiden können, anstatt aus Unwissenheit zur Windel zu greifen.“
Jana Patschehand: Und ganz zum Schluss möchte ich von dir wissen: Welches Ziel möchtest du mit deinem Projekt Windelfreibaby.de erreichen?
Windelfreibaby: Windelfreibaby setzt sich für ein stärkeres Bewusstsein für die natürlichen Ausscheidungsbedürfnisse unserer Babys ein. Eltern sollen sich frei entscheiden können, anstatt aus Unwissenheit zur Windel zu greifen. Windelfrei muss bekannter und wieder „normal“ werden, unseren Babys zu Liebe.
Vielen Dank für deine interessanten Anregungen und praktischen Tipps!
Ich hoffe, dass dieses Interview mit dazu beiträgt, dass mehr Mamas (eingeladen sind natürlich auch die interessierten Papas) Windelfrei aufgeschlossen gegenüber stehen. Nun finde ich es vollkommen in Ordnung, wenn jede Familie in Sachen Babypflege ihren Weg geht. Aus meiner Sicht bietet (auch) das (Teilzeit-) windelfreie Leben viele Vorteile.
Es würde mich einfach freuen, wenn Eltern die ebenso diesen Weg gehen sich nicht dafür rechtfertigen müssen. Von verletzenden Urteilen mal ganz zu schweigen. Wobei ihr ja wisst: Von denen halte ich auch in allen anderen Bereichen nicht allzu viel.
Bereit dazu, eigene Standpunkte, Ansichten und Gedanken zu hinterfragen, grüßt euch
eure Jana
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