In den letzten Tagen dieses Jahres widme ich mich einem Thema, das mich schon lange umtreibt. Und das nicht nur mich betrifft. Es geht um die Wahrung eigener Grenzen. Unsere Kraft ist eine Ressource, die wir nicht beliebig ausschöpfen können. So sehr wir es uns auch wünschen mögen: Allen Ansprüchen gerecht zu werden ist ein geradezu unmögliches Unterfangen. Ja, nicht einmal unsere eigenen Ansprüche können wir erfüllen (wobei diese ja oftmals auch die härtesten sind). Vor allem uns Frauen scheint es zunehmend schwerer zu fallen, unsere Grenzen zu akzeptieren.
Warum das meiner Ansicht nach so ist und weshalb ich mich von dem Gedanken verabschiedete, dass dieses Problem nur Baby-Mütter oder beruflich sehr eingespannte Frauen betrifft, erfahrt ihr in meinen drei Briefen an Mütter in unterschiedlichen Phasen / Lebenslagen.
Hier nun mein dritter Brief an Mehrfachmama Anne, deren Kinder bereits in die Schule gehen.
Lest hier Teil 1, meinen ersten Brief an eine Mutter ins Wochenbett und Teil 2, meinen zweiten Brief an eine berufstätige sogenannte „Working Mom“.
Mit zwei Schulkindern (eines davon mitten in der Pubertät) und Vollzeitjob rücken Mamas Bedürfnisse häufig – mal wieder – in den Hintergrund. Vor allem dann, wenn das Wort „Nein“ kein Bestandteil von Mamas Wortschatz ist.
Kleine Kinder, kleine Sorgen … Steckt da doch ein Fünkchen Wahrheit drin?
Liebe Anne,
magst du erst noch einen Blick auf deine To-Do-Liste für heute werfen, bevor du meinen Brief liest? Meine Befürchtung ist, dass du sonst mit deinen Gedanken ganz woanders bist. Beim Kuchen für den Schulbasar deines Kleinen zum Beispiel. Bei der wichtigen Dienstreise, die zwar erst übernächste Woche ansteht. Aber wenn Mama mal eine Woche weg ist, muss einiges vorbereitet werden. Damit es zu Hause einigermaßen rund läuft.
Vielleicht kreist du im Kopf aber auch wieder um diese blöde verpatzte Mathearbeit deiner großen Tochter. Zur Zeit scheint sie so überhaupt keine Lust auf Schule zu haben. Familienzeit und gemeinsame Ausflüge am Wochenende? Total peinlich! Umso wichtiger ist ihr neuerdings ihr Aussehen. Da kann es am Morgen schon mal gefühlte Ewigkeiten im Bad oder vor dem Kleiderschrank dauern. Die Frage, warum sie den ganzen Aufwand betreibt, überhört sie. Natürlich. Würdest du an ihrer Stelle nicht anders machen, oder?
Leider gibt es derzeit oft Streit zwischen deiner Tochter und dir. Es häufen sich die Tage an denen sie sich wie ein kleines Kind verhält. Selbstständig will sie sein. Nur verhält sie sich überhaupt nicht so. Wer es nicht einmal schafft seine Klamotten aufzuräumen oder nach dem Essen sein Geschirr wegzustellen, der ist wohl noch weit entfernt vom Erwachsensein. Leider denkst du das immer häufiger nicht nur. Manchmal sagst du das auch zu deiner Tochter im Wortgefecht.
Wobei es eigentlich kein Wortgefecht ist. Denn deine Tochter scheint sich mehr und mehr zurückzuziehen. Du redest und redest und redest. Mittlerweile kommst du dir vor wie eine Schallplatte mit einem Sprung. Dabei weißt du doch selbst ganz genau, dass deinen Anliegen und Sorgen so erst recht kein Gehör geschenkt wird. Und ja, du erinnerst dich finster: Diese irre aufregende, aber auch anstrengende Phase hast du vor vielen Jahren doch selbst erlebt. Aber eben nicht in der Mutterrolle. Sondern als Tochter.
Dein Mann hält sich meist zurück. Manchmal sagt er in einer ruhigen Minute zu dir, dass du dir nicht so viele Sorgen machen solltest. Loslassen musst. Zulassen, dass eure in wenigen Jahren volljährige Tochter ihre eigenen Erfahrungen macht. Mit allem, was dazu gehört. Doch das ist leichter gesagt als getan.
Einerseits ist dir bewusst, dass dein Mann gar nicht so falsch liegt. Aber zu gern würdest du deiner Tochter manchen Kummer ersparen. Ja, du willst natürlich nur das Beste für sie. Deswegen nervst du ja auch hartnäckig mit all diesen Themen, die sie derzeit so gar nicht interessieren: Den Hausaufgaben, der Suche nach einem Praktikumsplatz oder der Herausforderung, mit dem zur Verfügung stehenden Geld auszukommen. Spaß macht dir das nicht. Wie schön war doch diese Unbeschwertheit der Kindergartenzeit! (Ja, wir wissen beide, dass du die Vergangenheit gerade etwas verklärst. Auch damals hattest du deine Sorgen … Aber das ist wohl ganz normal.)
Und dann ist da ja noch der Kleine. Der die Launen seiner Schwester und die genervte Mama ganz schön anstrengend findet an manchen Tagen. Der langsam in das Alter kommt, in denen die Eltern eben nicht mehr die allwissende Instanz sind. Und der toben und am PC spielen viel lieber mag als die Dinge, mit denen Mütter einem den Nachmittag und das Wochenende eben so gern (Hahaha – kleiner Scherz) versauern.
Nicht mehr lang und seine Grundschulzeit ist vorbei. Schon jetzt fragst du dich, wie er mit dem Druck auf der weiterführenden Schule zurechtkommen wird. Wird dann noch das Fußballtraining mehrmals wöchentlich am Nachmittag drin sein? Ach ja: Da fällt dir ein das heute ja wieder dein Einsatz als Mama-Taxi gefragt ist aufgrund dieses Trainings.
Also bloß nicht trödeln jetzt! Auf Arbeit ist noch ein bisschen was zu schaffen heute. Seit einiger Zeit bist du wieder Vollzeit dabei. Einige Diskussionen gab es darüber zu Hause. Und ja, es ist wirklich nicht ohne mit zwei Schulkindern Vollzeit zu arbeiten. Doch andererseits sind die Kinder nun auch so weit, dass Mama sich beruflich wieder stärker engagieren kann. Warum noch länger zurückstecken? Dein Mann musste beruflich keine Nachteile in Kauf nehmen durch die Familiengründung. Im Gegensatz zu dir. Der Schritt zurück in die Vollzeit war jetzt einfach an der Zeit. Und richtig.
Endlich bekommst du wieder die wichtigen Projekte aufgetragen. Gehst ab und an auf Dienstreise. Und dieses Gefühl, ständig die wirklich relevanten Informationen zu verpassen, gehört nun auch der Vergangenheit an. Dann hast du vor kurzem diese spannende Weiterbildung begonnen. Deine Chefin meinte, dass du dir diese Chance nicht entgehen lassen solltest. Also hast du die Bedenken einfach mal über Bord geworfen und dich getraut. Auch wenn du das Wort Freizeit damit für die nächsten Monate endgültig aus deinem Wortschatz streichen kannst.
Natürlich ist es nun noch schwieriger als früher, den täglichen Pflichten rund um den Haushalt nachzukommen. Egal ob es darum geht, täglich ein frisches und gesundes Essen auf den Tisch zu bringen oder die Wäscheberge zu bezwingen: Irgendwie wuppst du trotz der gleichen Arbeitszeit den Löwenanteil rund ums Kochen, Spülen und Putzen.
Beklagen willst du dich aber nicht. Du bist ja froh, dass dein Mann überhaupt was macht. Deine Freundin hat es in diesem Punkt beispielsweise viel härter getroffen. Apropos Mann: Du musst gleich mal nachsehen, ob du den Zettel von der Reinigung dabei hast. Dein Mann hatte dich gebeten eben seine Anzüge in die Reinigung zu geben und schnellstmöglich wieder abzuholen. Eigentlich passte dir der Umweg diese Woche gar nicht. Aber dann hast du dir gedacht, dass du das schon irgendwie noch hinkriegst. Und ja gesagt.
Ja hast du vor kurzem auch zu Mias Mutter gesagt. Sie hatte dich beim Elternabend in der Schule gefragt, ob du für das Buffet auf Mias Geburtstagsfeier am Wochenende deinen „unglauuublich leeeeckeren“ Nudelsalat machen könntest. Richtig toll fanden alle ja auch diese vegetarischen Wraps, die du vor einiger Zeit mal auf einer Feier serviert hattest. „Also wenn du die auch noch hinkriegst – das wäre eine Wucht.“ Und so schnippelst und wickelst du was das Zeug hält. An einem Abend, der eigentlich unter dem Motto „Füße hochlegen“ stehen sollte.
Nanu, wer ruft denn jetzt an? Ja, geh ruhig schnell ran. Deine Freundin Katharina. Es geht bestimmt um euer wöchentliches Treffen im Fitnessstudio. Das ehrlicherweise oftmals eher zum monatlichen Date wird, da einer von euch beiden immer etwas dazwischen kommt. Ach, diese Woche klappt es bei Katharina nicht. Sie zieht doch bald um (stimmt, das hatte sie doch irgendwann schon mal erwähnt …). Da könnte sie helfende Hände gut gebrauchen. Wie sieht es denn bei euch aus, Anne? „Eigentlich ist diese Woche schon recht voll. Aber am Wochenende kriegen wir das bestimmt noch irgendwie unter.“ Katharina freut sich und muss dann auch zügig weiter Vorbereitungen treffen. Ihr seht euch ja am Wochenende länger …
Liebe Anne, ich melde mich einfach bald wieder bei dir, okay? Diese Woche scheint mir schon recht voll bei dir zu sein. Tust du mir aber bitte einen Gefallen? Wenn es dir dann gerade nicht passt, dann sag es mir doch einfach. Ich bin dir sicher nicht böse. Für die nächste Zeit wünsche ich dir viel Gelassenheit und Harmonie im Berufs- und vor allem Familienalltag.
Alles Gute,
deine Jana